Jiaogulan Botanik — Die wissenschaftliche Klassifizierung
Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino — eine diözische Kletterpflanze aus der Familie der Kürbisgewächse mit bemerkenswerten chemischen und morphologischen Eigenschaften.
Familie
Cucurbitaceae (Kürbisgewächse)
Gattung
Gynostemma (ca. 17 Arten)
Blattform
5-lappig (palmat zusammengesetzt)
Chromosomen
2n=22/44 (diploid/tetraploid)
🌳 Taxonomische Klassifizierung
📊 Systematik nach APG IV (2016)
| Reich | Plantae (Pflanzen) |
| Ordnung | Cucurbitales (Kürbisartige) |
| Familie | Cucurbitaceae (Kürbisgewächse) |
| Unterfamilie | Zanonioideae |
| Tribus | Gomphogyneae |
| Gattung | Gynostemma Blume (1825) |
| Art | Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino (1902) |
📜 Nomenklatur-Historie
Die Pflanze wurde mehrfach umbenannt — ein häufiges Phänomen in der botanischen Taxonomie:
- 1784: Carl Peter Thunberg beschreibt sie als Vitis pentaphylla (Weinreben-Gattung)
- 1825: Carl Ludwig Blume etabliert Gattung Gynostemma
- 1902: Tomitaro Makino überführt sie zu Gynostemma pentaphyllum (gültiger Name heute)
Basonym: Vitis pentaphylla Thunb.
Aktuell gültiger Name (POWO/GBIF): Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino
🌱 Morphologische Merkmale
1. Habitus (Wuchsform)
Lebensform: Ausdauernde krautige Kletterpflanze (Liane)
- Wuchshöhe: 2-8 Meter (kultiviert meist 2-4 Meter)
- Wachstumstyp: Kletterpflanze mit Ranken (Cirrhus)
- Wurzelsystem: Rhizomatös, flach ausgebreitet (20-40 cm Tiefe)
- Stängel: Kantig-gefurcht, dünn (2-4 mm Durchmesser), schwach behaart
- Lebensdauer: Mehrjährig (perenn), oberirdische Teile sterben bei Frost ab
2. Blätter (Folia)
Das charakteristischste Merkmal — die 5-lappigen Blätter geben der Pflanze ihren Artnamen "pentaphyllum" (griech. penta = fünf, phyllon = Blatt):
- Blattstellung: Wechselständig (alternierend am Stängel)
- Blattspreite: Palmat zusammengesetzt (handförmig), 5-7 Teilblättchen (meist 5)
- Blattgröße: Einzelblättchen 4-12 cm lang, 2-5 cm breit
- Blattrand: Grob gesägt (serrat), gezähnt
- Oberfläche: Oberseite dunkelgrün, glänzend; Unterseite heller, leicht behaart
- Nervatur: Fiedernervatur, sekundäre Venen deutlich erkennbar
- Blattstiel: 3-8 cm lang, dünn
3. Blüten (Flores)
Jiaogulan ist diözisch (zweihäusig) — männliche und weibliche Blüten wachsen auf getrennten Pflanzen:
♂️ Männliche Blüten (Staminate Flowers)
- Blütenstand: Rispe (Panicula), 10-30 cm lang, locker verzweigt
- Blütengröße: 3-5 mm Durchmesser (sehr klein)
- Farbe: Grünlich-gelb bis cremeweiß
- Staubblätter: 5, verwachsen (synandrium)
- Fruchtblatt: Fehlend (rein männlich)
- Funktion: Pollenproduktion für Bestäubung
♀️ Weibliche Blüten (Pistillate Flowers)
- Blütenstand: Trauben (Racemus) oder Rispe, kürzer als männliche (5-15 cm)
- Blütengröße: 3-5 mm Durchmesser
- Farbe: Grünlich-gelb
- Fruchtknoten: Unterständig (inferior), 2-3 Fächer
- Griffel: 3, gespalten
- Funktion: Fruchtbildung nach Befruchtung
Blütezeit: Juli-September (Nordhemisphäre), temperaturabhängig
4. Früchte (Fructus)
- Fruchttyp: Beere (Baccae), rund bis oval
- Größe: 5-8 mm Durchmesser
- Farbe: Unreif grün → reif schwarz
- Samen: 2-3 pro Frucht, flach, 3-4 mm lang
- Reifezeit: September-November
- Genießbarkeit: Nicht für menschlichen Verzehr empfohlen (bitter, wenig Fruchtfleisch)
5. Ranken (Cirrhus)
Jiaogulan besitzt Sprossranken (modifizierte Seitentriebe) — typisch für Cucurbitaceae:
- Position: Achselständig (aus Blattachseln entspringend)
- Verzweigung: Einfach oder 2-3-fach gespalten
- Funktion: Umwindet Stützstrukturen (thigmotrope Reaktion), ermöglicht vertikales Wachstum
- Besonderheit: Können Gewicht von 2-3 kg tragen (gesamte Pflanze)
🔬 Anatomische Besonderheiten
1. Blattzellen & Trichome
Mikroskopische Untersuchungen zeigen charakteristische Strukturen:
- Epidermis: Einschichtig, Zellen polygonal mit geraden Antiklinalwänden
- Trichome: Einzellige, konische Haare (100-300 µm lang), vor allem auf Blattunterseite
- Stomata: Anomocytisch (keine spezialisierten Nebenzellen), 20-30 µm Länge
- Mesophyll: Bifazial (Palisaden- + Schwammparenchym), reich an Chloroplasten
2. Sekretionssysteme
Gypenosid-Speicherung:
- Zelltyp: Vakuolen in Mesophyllzellen (nicht in spezialisierten Drüsen wie bei Minze)
- Konzentration: 2-8% Gypenoside im Trockengewicht (je nach Erntezeit/Standort)
- Verteilung: Höchste Konzentration in jungen Blättern (oberes Drittel der Pflanze)
3. Wurzel-Anatomie
- Rhizom: Horizontales Spross-System, 1-2 cm Durchmesser, segmentiert
- Adventivwurzeln: Entspringen aus Rhizom-Knoten, faserig
- Sekundärwachstum: Schwach ausgeprägt (bleibt dünn)
- Cortex: Dick, speichert Stärke für Überwinterung
🧬 Cytogenetik & Ploidiemuster
Chromosomenzahl
Variation innerhalb der Art: Gynostemma pentaphyllum zeigt polyploide Diversität — ein wichtiger Faktor für Wirk stoffvariation:
| Ploidiestufe | Chromosomenzahl (2n) | Vorkommen | Charakteristik |
|---|---|---|---|
| Diploid | 2n = 22 | Wildtyp, China/Japan | Kleinere Zellen, höhere Gypenosid-Varianz |
| Tetraploid | 2n = 44 | Kultivare, Korea/Thailand | Größere Blätter, robuster, evtl. höhere Saponin-Konzentration |
| Hexaploid | 2n = 66 | Selten, experimentell | Forschungsobjekt, nicht kommerziell genutzt |
Praktische Relevanz: Tetraploide Sorten (2n=44) werden bevorzugt angebaut — größere Blätter, höhere Biomasse, bessere Frosttoleranz (bis −10°C).
🌍 Verwandtschaftsverhältnisse
Gattung Gynostemma (ca. 17 Arten)
G. pentaphyllum ist die bekannteste, aber nicht einzige Art:
- G. pentaphyllum: China, Japan, Korea, Thailand — Hauptquelle für Jiaogulan-Tee
- G. longipes: China (Yunnan) — enthält andere Gypenosid-Profile
- G. yixingense: China (Jiangsu) — seltener, regional genutzt
- G. cardiospermum: Himalaya — wenig erforscht
Familie Cucurbitaceae (Kürbisgewächse)
Jiaogulan teilt Merkmale mit anderen Cucurbitaceae:
- Gemeinsamkeiten: Kletterndes Wachstum, Ranken, getrennte Geschlechter (oft)
- Verwandte Genera: Momordica (Bittergurke), Trichosanthes (Schlangengurke), Cucumis (Gurke)
- Chemische Besonderheit: Cucurbitacine (Bitterstoffe) sind in Gynostemma durch Gypenoside ersetzt — evolutionäre Divergenz
📊 Vergleich: Jiaogulan vs. verwandte Pflanzen
| Merkmal | Jiaogulan | Ginseng (Panax) | Gurke (Cucumis) |
|---|---|---|---|
| Familie | Cucurbitaceae | Araliaceae | Cucurbitaceae |
| Lebensform | Krautige Liane | Staude | Einjährige Liane |
| Blatt | 5-lappig palmat | Gefiedert | Herzförmig, gelappt |
| Wirkstoffe | Gypenoside (84+) | Ginsenoside (30+) | Cucurbitacine |
| Geschmack | Herb-süß | Bitter | Frisch, leicht bitter |
| Chromosomen | 2n=22/44 | 2n=48 | 2n=14 |
🔬 Forschungsgeschichte
📄 Wichtige botanische Studien
1. Erstbeschreibung (1784):
Carl Peter Thunberg (schwedischer Botaniker, Schüler von Linnaeus) beschreibt die Pflanze als Vitis pentaphylla nach Japan-Reise.
2. Gattungsrevision (1825):
Carl Ludwig Blume (niederländischer Botaniker) etabliert Gattung Gynostemma basierend auf Blütenmorphologie und Fruchtstruktur.
3. Moderne Taxonomie (1902):
Tomitaro Makino (japanischer Botaniker, "Vater der japanischen Botanik") kombiniert beide zu Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino — Name gilt bis heute.
4. Chemotaxonomische Studien (1976-1992):
Japanische Forscher (Takemoto et al.) isolieren Gypenoside und stellen strukturelle Ähnlichkeit zu Ginseng-Saponinen fest → "Süd-Ginseng" Bezeichnung entsteht.
💡 Praktische Bedeutung der Botanik
1. Für den Anbau
Warum botanisches Wissen hilft:
- Ranken: Erfordern Kletterhilfe (Spalier, Gitter) — horizontales Wachstum mindert Ertrag
- Diözisch: Für Samenproduktion benötigen Sie männliche + weibliche Pflanzen (für Tee reicht ein Geschlecht)
- Rhizomatös: Überwinterung im Boden möglich (bis −15°C mit Mulchschutz), oberirdische Teile sterben ab
- 5-lappige Blätter: Erkennungsmerkmal zur Unterscheidung von Unkräutern (z.B. Weinreben haben ebenfalls Ranken, aber andere Blattform)
2. Für die Qualitätskontrolle
- Makroskopische Prüfung: Echte Jiaogulan-Blätter haben 5 Teilblättchen, gezähnten Rand, glänzende Oberseite
- Mikroskopische Prüfung: Trichome, Stomata-Typ, Zellstruktur — Nachweis der Authentizität
- Chemische Marker: Gypenosid-Profile korrelieren mit Ploidie-Stufe (diploid vs. tetraploid)
🔗 Weiterführende Themen
❓ FAQ: Häufige Fragen zur Botanik
Warum heißt Jiaogulan "pentaphyllum" (fünfblättrig)?
Die Blätter sind palmat zusammengesetzt mit typischerweise 5 Teilblättchen (manchmal 3-7). Der Artname pentaphyllum (griech. penta = fünf, phyllon = Blatt) bezieht sich auf diese charakteristische Blattform.
Ist Jiaogulan mit Gurken verwandt?
Ja — beide gehören zur Familie Cucurbitaceae (Kürbisgewächse). Gemeinsame Merkmale: Kletterwachstum, Ranken, getrennte Geschlechter. Unterschied: Gurken enthalten Cucurbitacine (Bitterstoffe), Jiaogulan enthält Gypenoside (Saponine).
Warum braucht man männliche und weibliche Pflanzen?
Jiaogulan ist diözisch (zweihäusig) — männliche und weibliche Blüten wachsen auf getrennten Pflanzen. Für Samenproduktion benötigen Sie beide. Für Tee-Ernte (Blätter) reicht ein Geschlecht — beide haben gleiche Wirkstoffe.
Was bedeutet "diploid" vs. "tetraploid"?
Diploid (2n=22): Normaler Chromosomensatz, Wildtyp
Tetraploid (2n=44): Doppelter Chromosomensatz, oft durch Züchtung entstanden
Vorteile tetraploider Sorten: Größere Blätter, höhere Biomasse, evtl. mehr Gypenoside,
bessere Frosttoleranz. Werden daher bevorzugt im kommerziellen Anbau verwendet.
Kann man Jiaogulan an den Blättern von anderen Pflanzen unterscheiden?
Ja — charakteristische Merkmale:
- 5 Teilblättchen (palmat zusammengesetzt) — nicht einfach gelappt
- Gezähnter Rand (serrat) — deutlich sichtbar
- Glänzende Oberseite — dunkelgrün
- Ranken aus Blattachseln — dünn, verzweigt
Verwechslungsgefahr: Junge Weinreben (haben ebenfalls Ranken, aber 3-5-lappig mit ungezähntem Rand). Jiaogulan-Blätter schmecken herb-süßlich, Weinblätter neutral.