🌳 Taxonomische Klassifizierung

📊 Systematik nach APG IV (2016)

Reich Plantae (Pflanzen)
Ordnung Cucurbitales (Kürbisartige)
Familie Cucurbitaceae (Kürbisgewächse)
Unterfamilie Zanonioideae
Tribus Gomphogyneae
Gattung Gynostemma Blume (1825)
Art Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino (1902)

📜 Nomenklatur-Historie

Die Pflanze wurde mehrfach umbenannt — ein häufiges Phänomen in der botanischen Taxonomie:

  • 1784: Carl Peter Thunberg beschreibt sie als Vitis pentaphylla (Weinreben-Gattung)
  • 1825: Carl Ludwig Blume etabliert Gattung Gynostemma
  • 1902: Tomitaro Makino überführt sie zu Gynostemma pentaphyllum (gültiger Name heute)

Basonym: Vitis pentaphylla Thunb.
Aktuell gültiger Name (POWO/GBIF): Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino

🌱 Morphologische Merkmale

1. Habitus (Wuchsform)

Lebensform: Ausdauernde krautige Kletterpflanze (Liane)

  • Wuchshöhe: 2-8 Meter (kultiviert meist 2-4 Meter)
  • Wachstumstyp: Kletterpflanze mit Ranken (Cirrhus)
  • Wurzelsystem: Rhizomatös, flach ausgebreitet (20-40 cm Tiefe)
  • Stängel: Kantig-gefurcht, dünn (2-4 mm Durchmesser), schwach behaart
  • Lebensdauer: Mehrjährig (perenn), oberirdische Teile sterben bei Frost ab

2. Blätter (Folia)

Das charakteristischste Merkmal — die 5-lappigen Blätter geben der Pflanze ihren Artnamen "pentaphyllum" (griech. penta = fünf, phyllon = Blatt):

  • Blattstellung: Wechselständig (alternierend am Stängel)
  • Blattspreite: Palmat zusammengesetzt (handförmig), 5-7 Teilblättchen (meist 5)
  • Blattgröße: Einzelblättchen 4-12 cm lang, 2-5 cm breit
  • Blattrand: Grob gesägt (serrat), gezähnt
  • Oberfläche: Oberseite dunkelgrün, glänzend; Unterseite heller, leicht behaart
  • Nervatur: Fiedernervatur, sekundäre Venen deutlich erkennbar
  • Blattstiel: 3-8 cm lang, dünn

3. Blüten (Flores)

Jiaogulan ist diözisch (zweihäusig) — männliche und weibliche Blüten wachsen auf getrennten Pflanzen:

♂️ Männliche Blüten (Staminate Flowers)

  • Blütenstand: Rispe (Panicula), 10-30 cm lang, locker verzweigt
  • Blütengröße: 3-5 mm Durchmesser (sehr klein)
  • Farbe: Grünlich-gelb bis cremeweiß
  • Staubblätter: 5, verwachsen (synandrium)
  • Fruchtblatt: Fehlend (rein männlich)
  • Funktion: Pollenproduktion für Bestäubung

♀️ Weibliche Blüten (Pistillate Flowers)

  • Blütenstand: Trauben (Racemus) oder Rispe, kürzer als männliche (5-15 cm)
  • Blütengröße: 3-5 mm Durchmesser
  • Farbe: Grünlich-gelb
  • Fruchtknoten: Unterständig (inferior), 2-3 Fächer
  • Griffel: 3, gespalten
  • Funktion: Fruchtbildung nach Befruchtung

Blütezeit: Juli-September (Nordhemisphäre), temperaturabhängig

4. Früchte (Fructus)

  • Fruchttyp: Beere (Baccae), rund bis oval
  • Größe: 5-8 mm Durchmesser
  • Farbe: Unreif grün → reif schwarz
  • Samen: 2-3 pro Frucht, flach, 3-4 mm lang
  • Reifezeit: September-November
  • Genießbarkeit: Nicht für menschlichen Verzehr empfohlen (bitter, wenig Fruchtfleisch)

5. Ranken (Cirrhus)

Jiaogulan besitzt Sprossranken (modifizierte Seitentriebe) — typisch für Cucurbitaceae:

  • Position: Achselständig (aus Blattachseln entspringend)
  • Verzweigung: Einfach oder 2-3-fach gespalten
  • Funktion: Umwindet Stützstrukturen (thigmotrope Reaktion), ermöglicht vertikales Wachstum
  • Besonderheit: Können Gewicht von 2-3 kg tragen (gesamte Pflanze)

🔬 Anatomische Besonderheiten

1. Blattzellen & Trichome

Mikroskopische Untersuchungen zeigen charakteristische Strukturen:

  • Epidermis: Einschichtig, Zellen polygonal mit geraden Antiklinalwänden
  • Trichome: Einzellige, konische Haare (100-300 µm lang), vor allem auf Blattunterseite
  • Stomata: Anomocytisch (keine spezialisierten Nebenzellen), 20-30 µm Länge
  • Mesophyll: Bifazial (Palisaden- + Schwammparenchym), reich an Chloroplasten

2. Sekretionssysteme

Gypenosid-Speicherung:

  • Zelltyp: Vakuolen in Mesophyllzellen (nicht in spezialisierten Drüsen wie bei Minze)
  • Konzentration: 2-8% Gypenoside im Trockengewicht (je nach Erntezeit/Standort)
  • Verteilung: Höchste Konzentration in jungen Blättern (oberes Drittel der Pflanze)

3. Wurzel-Anatomie

  • Rhizom: Horizontales Spross-System, 1-2 cm Durchmesser, segmentiert
  • Adventivwurzeln: Entspringen aus Rhizom-Knoten, faserig
  • Sekundärwachstum: Schwach ausgeprägt (bleibt dünn)
  • Cortex: Dick, speichert Stärke für Überwinterung

🧬 Cytogenetik & Ploidiemuster

Chromosomenzahl

Variation innerhalb der Art: Gynostemma pentaphyllum zeigt polyploide Diversität — ein wichtiger Faktor für Wirk stoffvariation:

Ploidiestufe Chromosomenzahl (2n) Vorkommen Charakteristik
Diploid 2n = 22 Wildtyp, China/Japan Kleinere Zellen, höhere Gypenosid-Varianz
Tetraploid 2n = 44 Kultivare, Korea/Thailand Größere Blätter, robuster, evtl. höhere Saponin-Konzentration
Hexaploid 2n = 66 Selten, experimentell Forschungsobjekt, nicht kommerziell genutzt

Praktische Relevanz: Tetraploide Sorten (2n=44) werden bevorzugt angebaut — größere Blätter, höhere Biomasse, bessere Frosttoleranz (bis −10°C).

🌍 Verwandtschaftsverhältnisse

Gattung Gynostemma (ca. 17 Arten)

G. pentaphyllum ist die bekannteste, aber nicht einzige Art:

  • G. pentaphyllum: China, Japan, Korea, Thailand — Hauptquelle für Jiaogulan-Tee
  • G. longipes: China (Yunnan) — enthält andere Gypenosid-Profile
  • G. yixingense: China (Jiangsu) — seltener, regional genutzt
  • G. cardiospermum: Himalaya — wenig erforscht

Familie Cucurbitaceae (Kürbisgewächse)

Jiaogulan teilt Merkmale mit anderen Cucurbitaceae:

  • Gemeinsamkeiten: Kletterndes Wachstum, Ranken, getrennte Geschlechter (oft)
  • Verwandte Genera: Momordica (Bittergurke), Trichosanthes (Schlangengurke), Cucumis (Gurke)
  • Chemische Besonderheit: Cucurbitacine (Bitterstoffe) sind in Gynostemma durch Gypenoside ersetzt — evolutionäre Divergenz

📊 Vergleich: Jiaogulan vs. verwandte Pflanzen

Merkmal Jiaogulan Ginseng (Panax) Gurke (Cucumis)
Familie Cucurbitaceae Araliaceae Cucurbitaceae
Lebensform Krautige Liane Staude Einjährige Liane
Blatt 5-lappig palmat Gefiedert Herzförmig, gelappt
Wirkstoffe Gypenoside (84+) Ginsenoside (30+) Cucurbitacine
Geschmack Herb-süß Bitter Frisch, leicht bitter
Chromosomen 2n=22/44 2n=48 2n=14

🔬 Forschungsgeschichte

📄 Wichtige botanische Studien

1. Erstbeschreibung (1784):

Carl Peter Thunberg (schwedischer Botaniker, Schüler von Linnaeus) beschreibt die Pflanze als Vitis pentaphylla nach Japan-Reise.

2. Gattungsrevision (1825):

Carl Ludwig Blume (niederländischer Botaniker) etabliert Gattung Gynostemma basierend auf Blütenmorphologie und Fruchtstruktur.

3. Moderne Taxonomie (1902):

Tomitaro Makino (japanischer Botaniker, "Vater der japanischen Botanik") kombiniert beide zu Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino — Name gilt bis heute.

4. Chemotaxonomische Studien (1976-1992):

Japanische Forscher (Takemoto et al.) isolieren Gypenoside und stellen strukturelle Ähnlichkeit zu Ginseng-Saponinen fest → "Süd-Ginseng" Bezeichnung entsteht.

💡 Praktische Bedeutung der Botanik

1. Für den Anbau

Warum botanisches Wissen hilft:

  • Ranken: Erfordern Kletterhilfe (Spalier, Gitter) — horizontales Wachstum mindert Ertrag
  • Diözisch: Für Samenproduktion benötigen Sie männliche + weibliche Pflanzen (für Tee reicht ein Geschlecht)
  • Rhizomatös: Überwinterung im Boden möglich (bis −15°C mit Mulchschutz), oberirdische Teile sterben ab
  • 5-lappige Blätter: Erkennungsmerkmal zur Unterscheidung von Unkräutern (z.B. Weinreben haben ebenfalls Ranken, aber andere Blattform)

2. Für die Qualitätskontrolle

  • Makroskopische Prüfung: Echte Jiaogulan-Blätter haben 5 Teilblättchen, gezähnten Rand, glänzende Oberseite
  • Mikroskopische Prüfung: Trichome, Stomata-Typ, Zellstruktur — Nachweis der Authentizität
  • Chemische Marker: Gypenosid-Profile korrelieren mit Ploidie-Stufe (diploid vs. tetraploid)

🔗 Weiterführende Themen

❓ FAQ: Häufige Fragen zur Botanik

Warum heißt Jiaogulan "pentaphyllum" (fünfblättrig)?

Die Blätter sind palmat zusammengesetzt mit typischerweise 5 Teilblättchen (manchmal 3-7). Der Artname pentaphyllum (griech. penta = fünf, phyllon = Blatt) bezieht sich auf diese charakteristische Blattform.

Ist Jiaogulan mit Gurken verwandt?

Ja — beide gehören zur Familie Cucurbitaceae (Kürbisgewächse). Gemeinsame Merkmale: Kletterwachstum, Ranken, getrennte Geschlechter. Unterschied: Gurken enthalten Cucurbitacine (Bitterstoffe), Jiaogulan enthält Gypenoside (Saponine).

Warum braucht man männliche und weibliche Pflanzen?

Jiaogulan ist diözisch (zweihäusig) — männliche und weibliche Blüten wachsen auf getrennten Pflanzen. Für Samenproduktion benötigen Sie beide. Für Tee-Ernte (Blätter) reicht ein Geschlecht — beide haben gleiche Wirkstoffe.

Was bedeutet "diploid" vs. "tetraploid"?

Diploid (2n=22): Normaler Chromosomensatz, Wildtyp
Tetraploid (2n=44): Doppelter Chromosomensatz, oft durch Züchtung entstanden

Vorteile tetraploider Sorten: Größere Blätter, höhere Biomasse, evtl. mehr Gypenoside, bessere Frosttoleranz. Werden daher bevorzugt im kommerziellen Anbau verwendet.

Kann man Jiaogulan an den Blättern von anderen Pflanzen unterscheiden?

Ja — charakteristische Merkmale:

  • 5 Teilblättchen (palmat zusammengesetzt) — nicht einfach gelappt
  • Gezähnter Rand (serrat) — deutlich sichtbar
  • Glänzende Oberseite — dunkelgrün
  • Ranken aus Blattachseln — dünn, verzweigt

Verwechslungsgefahr: Junge Weinreben (haben ebenfalls Ranken, aber 3-5-lappig mit ungezähntem Rand). Jiaogulan-Blätter schmecken herb-süßlich, Weinblätter neutral.