Gynostemma „Blume" — Die Namensgebung
Carl Ludwig Blume (1796-1862), deutsch-niederländischer Botaniker und Direktor des Reichsherbariums Leiden, schuf 1825 die Gattung Gynostemma — aus dem Griechischen γυνή (gyne) = Frau + στέμμα (stemma) = Kranz, verweisend auf die kronenförmige Narbenstruktur der weiblichen Blüten.
Warum heißt Jiaogulan „Gynostemma Blume"?
Wenn Sie auf wissenschaftlichen Texten oder Produktverpackungen lesen:
Gynostemma pentaphyllum Blume
... ist "Blume" NICHT die deutsche Blume (Pflanze mit Blüten), sondern das Autorenkürzel des Botanikers Carl Ludwig Blume, der 1825 die Gattung Gynostemma wissenschaftlich beschrieb und benannte.
Botanische Nomenklatur — Wer benennt, wird zitiert
In der binomialen Nomenklatur (Zweinamensystem nach Carl von Linné, 1753) besteht ein Artname aus:
- Gattungsname (Großbuchstabe): Gynostemma
- Art-Epitheton (Kleinbuchstabe): pentaphyllum
- Autor(en) (abgekürzt): Blume, (Thunb.) Makino, L., etc.
Beispiele:
• Rosa canina L. — Linné beschrieb die Hunds-Rose
• Panax ginseng C.A.Mey. — Carl Anton Meyer beschrieb Ginseng
• Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino — Thunberg erstbeschrieb
(als Vitis), Makino kombinierte 1902 zu Gynostemma
⚠️ Häufige Verwechslung
Falsch: „Gynostemma ist eine Blume."
Richtig: „Gynostemma ist eine Gattung, benannt von Botaniker Blume."
Die Pflanze selbst hat kleine, unscheinbare Blüten (nicht das, was man üblicherweise „Blume" nennt) — der Name kommt vom Erstbeschreiber, nicht vom Aussehen!
Carl Ludwig Blume (1796-1862) — Der Namensgeber
📷 Historisches Porträt
Carl Ludwig Blume
(1796-1862)
Direktor Reichsherbarium Leiden
Lebensstationen
Wissenschaftliche Leistungen
📚 Hauptwerke
- „Bijdragen tot de flora van Nederlandsch Indië" (1825-1826) — Beiträge zur Flora Niederländisch-Indiens, 17 Teile, 1,169 Seiten
- „Flora Javae" (1828-1858) — Monumentales Werk über Java-Flora, illustriert mit 238 Farbtafeln
- „Rumphia" (1835-1848) — 4 Bände über ostindische Pflanzen
🌿 Gattungen beschrieben
- Gynostemma (1825) — Kürbisgewächse
- Tacca (1827) — Yamswurzgewächse
- Nepenthes (1852) — Kannenpflanzen (mitbeschrieben)
- Insgesamt: 80+ Gattungen neu beschrieben
🏛️ Institutionelle Rolle
- Direktor Reichsherbarium Leiden (1829-1862)
- Aufbau einer der größten Herbarien Europas
- Förderung der Kolonialbotanik (Java, Sumatra)
- Mentor für nachfolgende Botanikergenerationen
🎖️ Ehrungen
- Mitglied der Königlichen Niederländischen Akademie der Wissenschaften
- Ritterorden des Niederländischen Löwen
- 20+ Pflanzengattungen nach ihm benannt (z.B. Blumea)
Java-Expeditionen (1818-1826) — Die Entdeckungsreisen
Blumes Karriere wurde durch seine Expeditionen nach Java (heute Indonesien, damals Niederländisch-Ostindien) geprägt:
- Kontext: Kolonialzeit — Niederlande kontrollieren Indonesien, wissenschaftliche Erkundung der tropischen Flora
- Dauer: 8 Jahre (1818-1826), mehrere Expeditionen in Regenwälder, Berge, Küstenregionen
- Sammlungen: 2,000+ Pflanzenarten gesammelt, getrocknet, katalogisiert
- Herausforderungen: Tropenkrankheiten (Malaria), unwegsames Gelände, feuchtes Klima (Herbarkonservierung schwierig)
- Ergebnis: Grundlage für „Bijdragen" (1825) und „Flora Javae" (1828-1858)
Kritische Einordnung: Blumes Arbeit ist untrennbar mit der Kolonialgeschichte verbunden. Während seine botanischen Leistungen anerkannt sind, erfolgte die Forschung im Kontext niederländischer Kolonialherrschaft, die für indigene Bevölkerungen oft ausbeuterisch war.
1825 — Die Gründung der Gattung Gynostemma
📖 Die Erstbeschreibung
Werk:
„Bijdragen tot de flora van Nederlandsch Indië"
(Beiträge zur Flora Niederländisch-Indiens)
- Jahr: 1825 (Band 1, Teil 1)
- Seiten: 22-23 (Beschreibung von Gynostemma)
- Sprache: Lateinisch (wissenschaftlicher Standard der Zeit)
- Ort: Batavia (heute Jakarta), gedruckt in Leiden
Original-Text (Lateinisch, 1825)
GYNOSTEMMA Blume.
Flores dioici. MASC.: Calyx 5-partitus. Corolla 5-partita, rotata. Stamina 5, libera; antherae biloculares.
FEM.: Calyx et corolla ut in mare. Ovarium inferum, 3-loculare; stigmata 3, dilatata, quasi coronam formantia. Bacca globosa, 3-sperma.
Übersetzung ins Deutsche
GYNOSTEMMA Blume.
Blüten zweihäusig. MÄNNLICH: Kelch 5-teilig. Krone 5-teilig, radförmig.
Staubblätter 5, frei stehend; Staubbeutel zweifächerig.
WEIBLICH: Kelch und Krone wie bei der männlichen. Fruchtknoten unterständig,
3-fächerig; Narben 3, verbreitert, gleichsam eine Krone bildend.
Beere kugelrund, 3-samig.
🔑 Die Schlüsselbeobachtung
Blume erkannte, dass die Pflanze NICHT zur Gattung Vitis (Weinreben, Familie Vitaceae) gehört, wie Thunberg 1784 annahm (Vitis pentaphylla), sondern aufgrund der Blüten- und Fruchtstruktur zu den Cucurbitaceae (Kürbisgewächsen).
| Merkmal | Vitis (Weinrebe) | Gynostemma (Jiaogulan) |
|---|---|---|
| Familie | Vitaceae | Cucurbitaceae |
| Blütenstand | Rispen mit zwittrigen Blüten | Rispen mit getrenntgeschlechtigen Blüten |
| Fruchtknoten | Oberständig, 2-fächerig | Unterständig, 2-3-fächerig |
| Narben | Klein, kopfig | Verbreitert, kronenförmig ✓ |
| Frucht | Beere, groß (10-20mm) | Beere, klein (5-8mm) |
| Ranken | Blattachseln, verzweigt | Blattachseln, meist einfach |
Entscheidend: Die kronenförmigen Narben der weiblichen Blüten wurden zum namensgebenden Merkmal → „Gynostemma" = Frauenkranz!
Etymologie — Was bedeutet „Gynostemma"?
Griechische Wortwurzeln
γυνή (gynḗ)
gyne
= Frau, Weibchen
- In der Botanik: Bezieht sich auf weibliche Blütenorgane
- Verwandte Begriffe: Gynäkologie (Frauenheilkunde), Gynözeum (Stempel, Fruchtblatt)
- Genus: weiblich (ἡ γυνή)
στέμμα (stémma)
stemma
= Kranz, Krone, Girlande
- Ursprünglich: Blumenkranz, Siegeskranz
- Botanisch: Kronenförmige Struktur
- Verwandte Begriffe: Stemma (Stammbaum), Diademma (Diadem)
- Genus: neutral (τὸ στέμμα)
γυνή + στέμμα
gyne + stemma
= Frauenkranz
Botanische Interpretation:
Kronenförmige weibliche Narben
Die 3 Narben der weiblichen Blüte sind verbreitert und zurückgebogen, sodass sie zusammen wie eine kleine Krone aussehen.
Parallele Namensgebungen in der Botanik
Blume war nicht der einzige Botaniker, der „gyne" für Pflanzennamen nutzte:
| Gattung | Etymologie | Bedeutung | Erstbeschreiber |
|---|---|---|---|
| Gynostemma | gyne + stemma | Frauenkranz (Narbenform) | Blume, 1825 |
| Gynura | gyne + oura (Schwanz) | Frauenschwanz (langer Griffel) | Cassini, 1825 |
| Gynerium | gyne + erion (Wolle) | Frauenwolle (behaarte Ähren) | Humboldt, 1815 |
| Gynandriris | gyne + andros (Mann) + iris | Männlich-weibliche Schwertlilie | Parlatore, 1854 |
Trend im 19. Jahrhundert: Botaniker nutzten griechische und lateinische Wurzeln zur Benennung, oft beschreibend für morphologische Merkmale.
🔊 Aussprache
Gynostemma:
- Deutsch: [ɡynoˈstɛma] (Gy-no-STEM-ma, Betonung auf „STEM")
- Englisch: [ˌɡaɪnoʊˈstɛmə] (Gai-no-STEM-ma)
- Griechisch (Original): [ɡyˈnostema] (Gy-NO-ste-ma, Betonung auf „NO")
Tipp: In wissenschaftlichen Kontexten wird meist die lateinisierte Aussprache mit Betonung auf der vorletzten Silbe (STEM) verwendet.
Weitere Gynostemma-Arten von Blume beschrieben
Blume beschrieb in „Bijdragen" (1825-1826) nicht nur G. pentaphyllum, sondern auch mehrere andere Gynostemma-Arten (heute teilweise Synonyme):
G. simplicifolium Blume (1826)
Etymologie: simplex (einfach) + folium (Blatt)
Merkmal: Einfache (nicht gefiederte) Blätter
Status heute: Synonym von G. pentaphyllum (Variation)
G. pedatum Blume (1826)
Etymologie: pedatus (fußförmig)
Merkmal: Fußförmig geteilte Blätter
Status heute: Synonym von G. pentaphyllum (Variation)
G. laxum (Wall.) Cogn. (1881)
Etymologie: laxus (locker, lose)
Merkmal: Lockere Blütenstände
Status heute: Eigenständige Art (Thailand, Malaysia)
Moderne Taxonomie der Gattung
Heute werden ~15-20 Arten zur Gattung Gynostemma gezählt (Quellen variieren je nach taxonomischer Auffassung):
- Kernarten: G. pentaphyllum, G. laxum, G. cardiospermum, G. longipes
- Verbreitung: Ostasien (China, Japan, Korea), Südostasien (Thailand, Vietnam, Myanmar), Südasien (Indien)
- Molekulare Phylogenie: ITS-rDNA-Sequenzen bestätigen Gynostemma als monophyletische Gattung innerhalb Cucurbitaceae
- Abgrenzung: Hauptsächlich durch Blütenstruktur (kronenförmige Narben) und chemische Marker (Gypenoside)
Historischer Kontext — Kolonialbotanik im 19. Jahrhundert
Blumes Arbeit ist untrennbar mit der kolonialen Botanik verbunden — einer Epoche, in der europäische Mächte tropische Regionen erforschten, oft im Kontext wirtschaftlicher Ausbeutung.
Aspekte der Kolonialbotanik
🌍 Kontext
- Niederländische Kontrolle über Indonesien (1800er-1949)
- Wirtschaftliche Interessen: Gewürze, Kaffee, Zucker
- Botanische Gärten als Zentren der Kolonialbotanik
📊 Wissenschaftliche Ziele
- Katalogisierung tropischer Flora
- Identifikation wirtschaftlich nutzbarer Pflanzen
- Transfer zu europäischen Herbarien
⚖️ Problematische Seiten
- Wissen indigener Völker oft ungewürdigt
- Pflanzenproben ohne Zustimmung entnommen
- Forschung diente kolonialen Interessen
✅ Anerkennung heute
- Botanische Leistungen bleiben bedeutsam
- Kritische Reflexion des kolonialen Kontexts nötig
- Rückführung von Sammlungen diskutiert
Moderne Perspektive
Heutige Botaniker erkennen Blumes wissenschaftliche Leistungen an (präzise Beschreibungen, umfassende Katalogisierung), betonen aber auch:
- Indigenes Wissen: Viele „Entdeckungen" europäischer Botaniker waren lokalen Gemeinschaften längst bekannt
- Biopiraterie: Wirtschaftlich wertvolle Pflanzen (Chinarinde, Kautschuk) wurden ohne Kompensation nach Europa transferiert
- Dekolonisierung: Bewegung zur Rückführung von Herbarien und Anerkennung indigener Beiträge
Fazit — Ein Name mit Geschichte
Der Name Gynostemma erzählt drei Geschichten:
- Botanische Präzision: „Frauenkranz" beschreibt die charakteristische Narbenstruktur — ein diagnostisches Merkmal der Gattung
- Wissenschaftliche Tradition: Blumes Nutzung griechischer Wurzeln folgt der Linnéschen Nomenklatur des 18./19. Jahrhunderts
- Koloniale Geschichte: Die Entdeckung erfolgte im Kontext niederländischer Java-Expeditionen — eine Epoche mit Licht- und Schattenseiten
Heute: Gynostemma pentaphyllum ist eine anerkannte Art mit 200 Jahren Forschungsgeschichte. Der Name „Blume" ehrt den Botaniker, doch die Pflanze selbst wird weltweit geschätzt — in Asien als Jiaogulan (绞股蓝), in Europa als Kraut der Unsterblichkeit.
Verwendung heute
- Wissenschaftlich: Gynostemma pentaphyllum (Thunb.) Makino
- Deutsch: Jiaogulan, Unsterblichkeitskraut, Frauenginseng
- Chinesisch: 绞股蓝 (jiǎogǔlán) — „gedrehte, blaue Ranke"
- Japanisch: アマチャヅル (ama-cha-zuru) — „süße Tee-Ranke"
- Thailändisch: เจียวกู่หลาน (jiao-ku-lan) — Transliteration des Chinesischen
Premium Jiaogulan Bio-Qualität
Gynostemma pentaphyllum aus kontrolliert biologischem Anbau. DE-ÖKO-039 zertifiziert, Labor geprüft, Thai FDA-Lizenz 10327961.